Weihnachten in der Familie
- Svenja Polinski
- 26. Feb. 2016
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Sept. 2020

Nachdem ich seit dem 11. Dezember bei Ramona und Louisa in Kumasi war, war es schön, wieder nach Hause zu kommen. An ruhigen Alltag war zwar zwei Tage vor Weihnachten nicht zu denken, aber meine Gastgeschwister waren alle gekommen, um zusammen Weihnachten zu feiern, mit denen ich mich sehr gut verstehe. Da Weihnachten hier erst am 25. Dezember gefeiert wird, lief der 24. Dezember ganz normal ab. Okay, „normal“ ist das falsche Wort, denn wie schon zu Beginn des Auslandsjahres angekündigt, stand da auf einmal ein Rind vor unseren Toren an einen Baum gebunden, das darauf „wartete“, geschlachtet zu werden – und zwar von uns Freiwilligen. Ich hatte in den Monaten zuvor immer wieder gesagt, dass ich das nicht machen möchte und begleitete deshalb meine Schwester Betty und die Kleinen zum Shoppen in die Stadt, um die letzten Weihnachtskleider zu kaufen. Als wir zurückkamen, lag das Rind schon in seinen Einzelteilen in zwei großen Wannen auf der Küchenveranda und ich bereute es etwas, nicht dabei gewesen zu sein. Es klingt vielleicht komisch, aber irgendwie hätte ich die Erfahrung im Endeffekt doch ganz gern gemacht, wie man so ein großes Tier unter Kontrolle bringt und tötet, ohne es wild zu machen.

Weil erst um 22:00 Uhr Kirche sein sollte, nutzte ich die frühen Abendstunden, um mit meiner deutschen Familie zu skypen. Die saßen alle versammelt am Wohnzimmertisch und waren gespannt, was das Christkind gebracht hatte, was dazu beitrug, dass ein Gespräch kaum möglich war. Für mich war es seltsam, meine Familie zu sehen, wie sie dort saß und traditionell um die Geschenke würfelte, während ich selbst bei mind. 35° Celsius in Ghana saß und nicht das geringste Weihnachtsgefühl verspürte. Es war nicht, als würde diese Szene zeitgleich ablaufen, sondern als wäre es eine Aufzeichnung der Jahre zuvor, nur ohne mich. Schon komisch irgendwie, aber ich war froh sie gesehen zu haben und war danach etwas mehr in Stimmung als zuvor.

Zur Abendmesse wollte ich eigentlich mein neues Kleid anziehen, doch zog auf Rat meiner Mutter bequemere Sachen an, denn in der Nacht müsse man nicht schick sein, da sieht es ja eh niemand. Die Morgenmesse sei dagegen viel wichtiger. Das klang sehr überzeugend und so schmiss ich mich in Jeans und T-Shirt und ging in Flipflops zur Kirche. Die Messe dauerte drei Stunden, sodass wir irgendwann nach 1:00 Uhr nachts nach draußen kamen, wo meine Brüder ein Feuerwerk gestartet hatten, das sowohl im Himmel als auch auf dem Boden stattfand. Wunderschön anzusehen!

Danach ging es nach Hause wo die leckere Gulaschsuppe auf uns wartete, schön scharf und fast so, wie man sie in Deutschland kennt. Nach diesem Festessen saßen wir für den Rest der Nacht in der Mitte des Hofes und haben getanzt und Fleisch für den nächsten Tag kleingeschlagen und –geschnitten. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich eine tragende Rolle dabei gespielt habe. Ich habe versucht, die Knochen mit einem „Cutlass“ (eine Art überdimensionales Messer, ca. 1m lang, vielleicht vergleichbar mit einem Schwert) zu zerschlagen, damit die anderen das Fleisch dann in mundgerechte Stücke schneiden konnten, aber es ist schon etwas schwierig so viel Kraft aufzubringen, dass wirklich ein ganzer Knochen zersplitterte. Weil ich außerdem sehr müde war, ging ich irgendwann um halb 3/3 ins Bett und war damit die erste. Am nächsten Morgen war wieder Kirche - es gehört einfach dazu - und da konnte ich endlich mein neues Kleid anziehen, das mir extra für dieses Fest geschneidert wurde und bekam Schuhe von meiner Mutter, weil ich hier leider nur Flipflops oder Sneaker habe. Das sah schon chic aus, aber an das Laufen mit Absätzen muss ich mich wohl erst wieder gewöhnen. Meine Gastbrüder haben sich ganz schön über meinen eher unsicheren Gang lustig gemacht - ist auf den Sandwegen aber auch gar nicht so leicht. Aber ich konnte mitlachen... hab's ja eingesehen, dass ich seltsam aussah. Und weil ich durch den Absatz noch größer war als sowieso und noch weiter über die Köpfe der Ghanaer hinausragte, zog ich die Schuhe nach der Messe schnell aus und danach auch nicht wieder an – dann müssen ab jetzt wieder meine Flipflops reichen.

Am 25. waren wir abends noch feiern. Ganz spontan habe ich mich meinem Gastbruder Sherif angeschlossen, der mit seiner Clique zum Flemish wollte. Das Flemish ist eine Bar am Rand von Damongo und wir waren keine viertel Stunde da und ich hatte mein Bier nichtmal auf, da wurde beschlossen, den Standort nochmal zu ändern. Also Bier schnell auftrinken und weiter geht’s. Der nächste Stopp war dann im Mahama Guesthouse, wo eine richtige Disko improvisiert war. Sie bestand aus einer kleinen Halle, in der ein DJ Musik spielte und jeder, der rein will, musste bezahlen und bekam einen Stempel. Wir wollten natürlich auch rein, aber die Türsteher haben niemanden mehr reingelassen, weil es wohl zu voll war. Also haben wir versucht, uns so reinzudrängeln. Sherif vor mir und Salim (bester Freund von meinem Gastbruder Stephen) hinter mir und wir haben es sogar geschafft und haben drinnen den Rest unserer Familie getroffen, der parallel unterwegs war. Doch wir waren knapp eine Minute drin, da wurde auf einmal die Musik unterbrochen und alle mussten den Raum verlassen, weil zu viele Menschen ohne Stempel in den Saal gekommen waren. Etwas blöd gelaufen, aber lustig wars und als wir wieder draußen waren, saßen da noch zwei andere Deutsche, die auf der Durchreise eine Pause machen wollten. Die beiden sind nicht nur durch Ghana, sondern sind ganz in Nordafrika gestartet, haben in Mali ihr Auto verkauft und wollen den Rest Afrikas auf dem Motorrad erkunden. Ich hätte mich gern die ganze Nacht mit ihnen unterhalten aber unser Gastvater hatte uns Mitternacht als Limit gesetzt, deshalb wurde es schnell unruhig und wir mussten fahren.

Erst Zuhause merkten wir dann, dass wir unseren Gastbruder Majeed vergessen hatten, der gerade mit einem netten Mädchen getanzt und wohl die Zeit aus dem Auge verloren hatte. Dieser kam 20 Minuten nach uns angelaufen und wir konnten nicht mehr vor Lachen, mussten uns aber zusammenreißen, weil Dada (=Papa, Gastvater) nichts mitbekommen sollte. Kurz danach ging es aber auch ins Bett, ich war total müde und für den nächsten Tag stand wieder Kirche auf dem Programm.
Mein Weihnachten in Ghana war also eine Mischung aus Kirche, Essen und Party, die ich wirklich genossen habe. Ich musste nur selten an Deutschland denken und das erwartete starke Heimweh blieb auch aus. Wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, bin ich sehr froh, diese Erfahrung gemacht zu haben und gerade meinen Gastbrüdern unheimlich dankbar, ohne die das ganze Fest vielleicht in eine andere Richtung gelaufen wäre.
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