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Ein Stück Deutschland

Kurz vorweg: Es geht mir gut, ich bin nicht tot, war sogar nur ein bisschen krank und hatte einfach kein passendes Bild für diesen Eintrag, deshalb kam so lange nichts. Das Bild jetzt ist zwar auch nicht das schönste, aber besser als nichts.

Nachdem fast alle unsere Geschwister wieder in der Schule waren, war es fast ein bisschen langweilig im Haus. Aber seit Dienstag letzter Woche ist Anthony, unser Gastvater, von seiner Reise nach Deutschland zurück und hat tausende Geschichten erlebt, die er uns mithilfe von Fotos und Videos auf seinem Tablet erzählte. Und es scheint wirklich spannend gewesen zu sein, denn allein die Anreise erwies sich als Herausforderung. Laut Plan hätte sein Flug am Samstag, den 12. September gehen sollen, doch weil es Probleme mit Anthonys Dokumenten gab, mussten das Flugzeug und der Rest der Ghana-Delegation ohne ihn zur Partnergemeinde nach Nordwalde (bei Münster) starten. Nach vielen Telefonaten und ewigem Hin und Her schaffte er es, am folgenden Dienstag endlich nach Deutschland, erreichte aber den düsseldorfer Flughafen ohne Gepäck. Dazu kam, dass er kein deutsch spricht und seine Gasteltern nicht finden konnte. Nachdem das Gepäck zum Glück schnell organisiert war, fand sich ein junger Mann, der Englisch sprach und ihm half, seine Gasteltern zu kontaktieren. Sie hatten nur am falschen Gate auf Anthony gewartet.

Zu den Gasteltern kann ich nicht viel sagen, außer dass es ältere Menschen sind, die früher Lehrer waren und deshalb mit Englisch einigermaßen zurechtkommen. In der Zeit, in der Anthony bei ihnen gelebt hat, waren auch ihre Enkelkinder zu Besuch und mein Gastvater war zum einen erleichtert, zum anderen erstaunt. Erleichtert war er, weil diese Kinder genauso unruhig am Essenstisch sitzen, wie unsere Jüngste hier, Kesia. Ich bin mir nicht sicher, was er erwartet hat, aber Kinder sind sich halt schon sehr ähnlich, egal wo auf der Welt. Wovon er erstaunt war, ist die Tatsache, dass die Kinder zwischen 8 und 9 Uhr im Bett waren. Hier toben die Kinder manchmal länger auf dem Hof, als ich wach bin, aber seit Anthony zurück ist, versucht er die Kids nun auch um 8 Uhr ins Bett zu schicken - mit wenig Erfolg. Auf seinen vielen Terminen in Deutschland kam er aus dem Staunen auch so schnell nicht raus. Da wäre zum einen sein Besuch auf einem Bauernhof in der Nähe von Münster. Was ihm direkt aufgefallen ist, waren die unzähligen Solarplatten auf den Dächern der Ställe und Wohnhäuser und die Windkrafträder in der Umgebung. Er war unglaublich begeistert von der Idee, einmalig Geld zu investieren und dann seinen eigenen Strom herzustellen, von dem man den Überschuss an den Staat verkauft. Hier in Ghana wäre sowas nie möglich, weil niemand auch nur daran denke Steuern zu zahlen, geschweige denn mit dem Staat zusammenzuarbeiten. Neben den Solarplatten waren auch die Tiere und Pflanzen sehr interessant für ihn als Farmer. Als "unvorstellbar" beschrieb er die Zahl und Größe der Tiere. Man könne fünf ghanaische Kühe nehmen, und hätte nicht eine deutsche. Das ist natürlich ganz leicht übertrieben, aber ich kann mir gut vorstellen, wie beeindruckend es sein muss, so große Tiere das erste Mal zu sehen. Der Bauernhof nutzt auch Melkroboter, die wohl bis zu 100 Kühe am Tag melken. Auch so ein Wunder der Deutschen, so wie auch der deutsche Mais. Anthony hätte noch nie so hohen Mais gesehen, aber wenn wir zur Arbeit gehen, kommen wir an Maisfeldern vorbei, auf denen der Mais bis zu 4m hoch steht. Das ist auf jeden Fall höher, als der Mais vor meiner deutschen Haustür, aber wer weiß, was er in Deutschland gesehen hat.

Zum anderen sind da die deutschen Städte. Die Menschen seien so unglaublich freundlich und jeder grüßt auf offener Straße. Und das Wichtigste: Nirgendwo Müll! Dass die Leute so freundlich sind, resultiert wohl aus dem gleichen Phänomen, aus dem wir hier in Damongo auch von jedem gegrüßt und nach unserem Befinden gefragt werden - man ist anders. Ich hätte Deutschland sowas ehrlich gesagt nicht zugetraut, aber scheinbar haben die Münsteraner gemerkt, dass er ein besonderer Mann ist und ein sehr warmherziger noch dazu. Wenn man nach der Zahl von Bildern und Videos geht, war das Highlight der Tour der Besuch des Kölner Doms. Nie zuvor hat Anthony ein so großes und so schönes Gebäude gesehen, dessen Bau seit so vielen hunderten Jahren von immer neuen Menschen fortgesetzt und immer noch nicht fertiggestellt wurde. Es sei einfach phantastisch, wie die Deutschen ihren Glauben in diesem Gebäude ausdrücken, kein Vergleich zu Ghana. In dem Punkt gebe ich ihm Recht, dass hier in Ghana bisher kaum Möglichkeiten bestehen, etwas so großes zu errichten, aber man kann seinen Glauben ja auch anders zeigen und das machen die Ghanaer mit ganzer Kraft.

Neben seinen zahlreichen Programmpunkten hatte Anthony auch Zeit für unsere Familien. Ich hatte meiner Mutter vorher ein paar Dinge gesagt, die ich vergessen habe einzupacken. Sie sollte Anthony die Sachen zeigen und der sollte entscheiden, was er direkt mitnehmen kann und was Mama mir per Post schicken soll. Das habe ich ihm vor seiner Abreise auch extra noch gesagt, doch wie ich erwartet habe, hat Anthony natürlich alles selbst mitgenommen. Vermutlich hat er jedes andere Verhalten unhöflich gefunden und ich habe mich auch wirklich gefreut meine Sachen so schnell zu haben. Neben einem Rucksack voll mit Dingen für mich, hat er aber auch viele selbstgebackene Kekse von seiner Gastmutter mitgebracht. Zusammen mit dem Bünting Tee von meinen Eltern konnten wir am vergangenen Dienstag eine richtig deutsche Vesper abhalten, das war echt schön. Auch an Klüntjes hat Mama gedacht (sogar die braunen) und so hab ich meinen Gasteltern bei einer gemütlichen Tasse das traditionelle Teetrinken nach ostfriesischer Art erklärt. Ich war schon ein bisschen stolz, denn auch Felix wusste gar nicht so genau, dass man die Klüntjes zum klingen bringen kann und mit der Sahne feine Blumenmuster im Tee zeichnet. Diese Dinge konnte ich leider nur erklären, nicht vormachen, denn die Tassen hier sind aus Plastik und echt Sahne gibt es nicht. Aber der Tee hat auch so geschmeckt und Anthony mag ihn sogar richtig gern.

PS: Einen kleinen Nachtrag zu meinem Himmelbeitrag letztens hab ich noch. Ich habe mich in letzter Zeit oft mit den Leuten hier über den Himmel unterhalten und letztens auch mit einem guten Freund unserer Brüder, Salim. Der erzählte mir eine Legende, die den Grund der Entfernung des Himmels beschreibt. Vorweg muss man wissen, dass Fufu ein fester Brei ist, der hier fast täglich gegessen wird. Man erhält Fufu, indem man Yam (eine Art große Kartoffel) so lange unter Hinzugabe von Wasser stampft, bis ein fester Klumpen entsteht. Das Stampfen macht man mit einem langen, schweren Stab, der unten etwas breiter wird. Mit der breiten Seite klopft man dann immer wieder auf die Yambrocken. Salim erzählte mir das Märchen so: Es gab einmal eine Zeit, in der der Himmel der Erde in Afrika ganz nah war, denn Gott wollte den Menschen nah sein. Doch an einem Ort, wo der Himmel besonders nah war, lebte eine alte Frau, die jeden Tag ihr Fufu bereitete. Ihr Stock war jedoch so lang, dass sie beim Stampfen immer wieder ihrem Gott in den Allerwertesten piekste. Das ging diesem mit der Zeit so auf die Nerven, dass er beschloss sich von der Erde zu entfernen - und zwar so weit, dass kein Fufustampfer Afrikas ihn mehr stören kann.

Ich finde diese Legende hat was - irgendwie ist sie echt schön. Sie zeigt einfach, wie die Menschen hier drauf sind und in jede Situation ihren Glauben einbeziehen und nutzen, um sich ihre Welt zu erklären.

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